Portrait Ronald Kodritsch, copyright
Christian Wind, 2010
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Seelenficken, 2011, Öl auf Leinwand
140 x 100 cm, courtesy artepari
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Schon wieder gescheitert beim Versuch einen Regenbogen zu malen, 2011, Öl auf Leinwand, 140 x 100 cm,
courtesy artepari [ mehr Bilder ] |
Ronald Kodritsch - Seelenficken
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„Seelenficken“ nennt Ronald Kodritsch seine Ausstellung mit neuesten Bildern in der Galerie Artepari und präsentiert sich uns mit verspiegelter Sonnenbrille und cooler Attitüde in einer Offiziersuniform einer ausländischen Armee. Ist er endgültig zum Generalissimo der österreichischen Malerei befördert worden oder bedeutet er uns mit demTitel und dem militärischen Geprange einen politischen Gehalt seiner neuesten Werke?
Zu viel ist in den Medien in jüngster Zeit von Gewalt und Terror der Militärs zu sehen und zu lesen gewesen, als dass wir nicht sofort an die seelischen Qualen und Foltern im Namen einer Ideologie oder Religion denken müssten. Die Durchdringung von Körpern und Penetrierung von Seelen scheint immer öfter appropriates Mittel zur Erlangung von Zielen zu werden. Doch kann man sich Arbeiten von Ronald Kodritsch ohne Ironiegehalt vorstellen?
Mit „Seelenficken“ scheint Kodritsch die englische Phrase für „jemanden verarschen“ („to fuck with someone“) aufzugreifen und einen ironischen Koitus von abstrakten und realistischen Tendenzen des letzten Jahrhunderts zu inszenieren. Die von Kunsthistorikern ins Vergeistigte und Existenzielle entrückte Malerei des Abstrakten Expressionismus und des Informel, in der ein Pinselstrich zur Spur der seelischen Befindlichkeit des Künstlers hochstilisiert werden konnte, wird mit Versatzstücken des Alltags und der Populärkultur entweiht, gleichsam von der Banalität flach gelegt. Seelenficken als die Durchdringung „metaphysischer“ Malerei mit dem ordinärenVokabular unseres schnöden Alltags?
In seinem titelgebenden Gemälde hat er vor eine mit wildem Strich, tief aus der Palette der Grautöne schöpfende, gestisch aufgewühlte Folie eine seiner Blasenfiguren gesetzt. Jene Hybride zwischen Sprechblase, Schnuller und Hut mit schelmischer Pinocchionase, deren Länge nicht nur das Maß für den Ironiegehalt zu indizieren scheint, sondern auch ihre anzügliche Doppeldeutigkeit nicht ganz verhehlen kann. Das rote Kürzel im Zentrum des Bildes ist nicht nur farblicher Akzent, formalästhetische Setzung, sondern durchaus auch Strumpf oder verkehrtes „L“, wenngleich der Zusammenhang unklar bleibt. Eine leere Sprechblase scheint wie zum Hohn nur Bedeutungsleere hinzuzufügen und auf die offene Aussage des Bildes zu verweisen. „Bla Bla Blasen“ hat Kodritsch gleich einem Kommentar auf ein anderes Bild derselben Schaffensphase geschrieben.
Blasen
Die (leeren) Sprechblasen sind ein häufig vorkommendes Versatzstück in Kodritschs Schaffen. Obgleich sich Sprechblasen als Möglichkeit textlicher Aussagen in einem Bild bereits auf die Spruchbänder mittelalterlicher Darstellungen zurückführen lassen, haftet ihnen vor allem durch die pädagogische Entwertung der Comickultur die Bedeutung des Nichtssagenden, Belanglosen oder Sinnlosen an. Sprech-Blasen sind Worthülsen, deren oftmalige Inhaltsleere der luftgefüllten Hülle bereits inhärent scheint. Gerade das pädagogisch Verpönte, intellektuell Belanglose und popkulturell Beliebte scheint sie für Kodritsch inhaltlich interessant zu machen, nebst seiner malerischen Vorliebe für runde Formen und blasenähnliche Gebilde.
Doch kann man einem Maler keine leeren Sprechblasen vorhalten, denn leer erscheinen sie auf den ersten Blick nur uns, die wir einen textlichen Inhalt erwarten. Kodritschs Sprechblasen sind hingegen voll mit seiner Malerei und seine Malerei ist Kommentar und Aussage des Bildes. Und seine Malerei ist niemals leer.
Grinsen
Kodritsch hat gerade in seinen jüngsten Arbeiten den Pinsel sehr intuitiv geführt und die abstrakte Qualität seiner Malerei dadurch betont. Doch lässt er diese gestischen Striche, Schlieren und wilden Zumalungen niemals autonom stehen, sondern versieht sie, aus dem abstrakten Malgrund heraus, mit Realitätsfragmenten und Versatzstücken seines bisherigen Bildvokabulars. Zu diesen Bestandteilen zählen unter anderem Farbpaletten, Sonnenbrillen, Strümpfe oder das breite Grinsen der Cheshire Cat, das ebenso wie die übrigen Elemente auf den Künstler zu verweisen scheint. Und bei einigen Bildern kann man sich das schelmische Grinsen des Ronald Kodritsch wahrlich vorstellen, wenn mancher Betrachter vielleicht verdutzt den Kopf schüttelt angesichts kongenialer Bild- und Titelfindungen wie „Schon wieder gescheitert beim Versuch einen Regenbogen zu malen“ oder „Entschuldigen Sie bitte, aber ich habe gerade meine Eier verloren“. Es sind diese geistreichen Verbindungen von Intuitivem und Kalkuliertem, diese narrativen Kleinode, die zu seinem Markenzeichen geworden sind.
Ein Gespenst geht um…
Kodritsch scheint sich bei der Konstruktion seiner Bildwelten immer wieder auf den Bilderkosmos von Märchen, Mythologien bzw. auf naturreligiöse Vorstellungen als Inspirationsquelle zu beziehen. In seinen Gemälden tauchen Gespenster, Hexen, Gnome und Wiedergänger unterschiedlichster Couleur auf. Von medizinischer und wissenschaftlicher Seite wird derartigen Wiederkünften und Gespenstererscheinungen meist eine Sinnestäuschung unterstellt und eine Täuschung des Sinns bzw. eine Ent-täuschung der Wahrnehmung darf man wohl auch bei Kodritsch als Intention vermuten.
Bei Kodritschs „Schwestern“ führte die aufgefundene Abbildung eines Zwillingspaares zum Stimulus für den Malakt. Das Sujet zweier sitzender und sich an den Armen haltender Frauen erfährt eine abstrahierende Transformation und eine Translokation in eine rudimentär angedeutete Berglandschaft. Aus dem doppelten Lottchen formiert er eine verdoppelte Heidi und extrahiert eine österreichische Almidylle, die sich nur mehr in den klischeetriefenden Bildern der Tourismusbranche findet. Doch kein Stereotyp währt ewig und die Zukunft des trauten Schwesternpaares (und vielleicht auch des Klischees) sieht er unter weißen Bettlaken, als Schreckgespenster der österreichischen Bio-Heumilch produzierenden Bergbauernvereinigung.
Dalís Schnurrbart
Vielleicht sind Kodritschs Geisterwesen auch weniger Manifestationen von Un-, Halb- und Scheintoten, keine verbrämten Wiedergänger verbannter Ideen aus vergangenen Zeiten, als vielmehr symbolische Repräsentanten von Ethanol und anderen hochgeistigen Ergüssen: der Künstler als vom Geist erfüllter und inspirierter Visionär. Vielleicht bevölkert deshalb Salvador Dalís Schnurrbart regelmäßig Kodritschs Bildwelten und verleiht der imaginativen Szenerie einen Hauch von Exzentrik. Ob an prominenter Position wie im unbetitelten Werk „Schnurrbart und Blase“, in deklinierter Setzung wie bei „Skulptur mit Weitblick“ oder in stilisierter Form im Bilderpaar „Sisters I“ und „Sisters II“, Dalis Schnurrbart ist omnipräsent. Der Oberlippenbart, der durch seinen berühmten Bartträger sogar dessen Namen erhalten hat, war nicht nur das Markenzeichen des exzentrischen Surrealisten, Dalí hat den seitlichen Spitzen spezielle Fähigkeiten zum Empfang göttlicher Botschaften zugeschrieben und sie seine "Antennen" genannt. Geist, Ekzentrik und merkwürdige Zwischenwelten scheinen fester Bestandteil von Kodritschs Bilderwelt zu sein.
Familienaufstellung im kambodschanischen Geisterreich
Mit seinem Bild „Familienaufstellung im kambodschanischen Geisterreich“ schließt er an seine früheren „Geisterbilder“ an und fügt der Thematik doch eine neue Portion Ironie hinzu. Im Winter letzten Jahres hat sich Kodritsch gemeinsam mit seinem Künstlerfreund Jack Bauer nach Kambodscha aufgemacht, um in den Dörfern der Khmer Geistergeschichten nachzuspüren. Gemeinsam mit einem Übersetzer sind sie von Dorf zu Dorf getingelt und haben sich Geschichten aus mysteriösen Halb- und Unterwelten erzählen lassen, mit dem Ziel, eine unheimliche Bibliothek des Dschungels zu begründen.
Die Totengeister seiner kambodschanischen Erkundungen scheinen sich nun auch in seinen Bildern zu manifestieren: vier Spielkegel, die hinter oder über einem als Bettvorleger drapierten Gespenst stehen. Es wäre die Frage zu stellen, ob die Totengeister in Kambodscha auch in weiße Bettlaken gehüllt sind, oder es sich dabei lediglich um Konvention um der Konvention willen handelt.
Aus vier Pöppeln (in unseren Breiten auch „Manschgal“ genannt) über einem Spukgespenst wird auf jeden Fall die Familienaufstellung im kambodschanischen Geisterreich. Und wie es sich für einen freien und frechen Geist gehört, wird er bei einer obszönen Handlung gezeigt. Aus seinen zwei Löchern im Kopf scheint uns der Untote verstohlen anzublicken während sein wiederbelebter Unterleib ein kräftiges Lebenszeichen von sich gibt. Ein sich ektoplasmatisch materialisierendes Ejakulat umkreist die arbiträren Familienpartizipienten in Form einer stilisierten liegenden Acht und verweist somit auf die unendliche Potenz des Substrats. Die Hormone scheinen niemals zu sterben und selbst Tote wiederzubeleben.
Ob damit allerdings das Rätsel um den Ausstellungstitel gelöst ist, bleibt offen.
copyright Roman Grabner, 2011, courtesy artepari
Ronald Kodritsch, geboren 1970, studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien.
Kodritsch lebt als Maler in Wien und Phnom Penh und arbeitet viel.
Ausstellungsdauer: 7. April bis 30. Juni 2011
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