Ausstellungsansicht, Raum II
Foto: courtesy artepari
 

Ausstellungsansicht, Raum I, Atrium
Foto: courtesy artepari
 

o.T. (Barke), 2011, Eisen, 80 x 280 x 50 cm
Foto: courtesy artepari

[ mehr Bilder ]

MARKUS WILFLING
eisen_handlungen
 
Der Ausstellungstitel „eisen_handlungen“ subsumiert nicht nur die neuesten Arbeiten von Markus Wilfling, sondern indiziert zugleich deren ehernen Werkstoff und dessen handwerkliche Bearbeitung. Wilfling bleibt dabei dem eingeschlagenen Weg treu und setzt seine Auseinandersetzung mit den minimalistischen Kunsttendenzen des 20. Jahrhunderts fort, die er mit Ironie und Feingefühl an die Gegenstandswelt rückbindet. Die Objekte sind dabei auf ihre wesentlichen Komponenten reduziert und trotz ihrer Alltagsreferenzen manifestierte Leere, die nur durch die Kontur eine Form erhalten. Der dänische Künstler Robert Jacobson hat seinen Zugang zur Metallplastik einmal mit folgenden Worten beschrieben: „... so ist die Leere die Form und das Metall die Kontur dieser Form.“(1) Diese Kontur rahmt nicht nur die Leere, ist nicht nur äußerste Reduktion einer Form, sondern zugleich Wilflings „Statement gegen die Unsichtbarkeit einer Vorstellung“.(2) 


BARKE
Mit der „Barke“ (Ohne Titel, 2011) setzt er eine Serie von Skulpturen fort, die 2009 mit dem „Schaukelschiff“ begonnen haben, über das „Standortvehikel“ (2009) zum „Frachter“ (2011) führten und sich durch ihre Konstruktion aus geometrischen Grundformen, die gemeinsame Verwendung des Kreissegments einer Schaukel als Ausgangsbasis und den Werkstoff Metall auszeichnen. Als verbindendes Element eint sie überdies die skulpturale Problemstellung von Bewegung und Ruhe, Balance und Ungleichgewicht und des Austarierens von Masse, die Wilfling auch schon in früheren Werken wie seinen schrägen Tassen oder seiner Raumarbeit „Versuchsanstalt“ (2009) behandelt hat.
Das Schiff, Symbol des Aufbruchs und der Reise, verbindet sich mit dem Motiv des sich nicht von der Stelle bewegenden Schaukelpferdes bzw. Schaukelstuhls. Der zeichenhafte Charakter betont die mythische bzw. symbolische Dimension der Darstellung. Durch die Kontur wird ein archetypisches Bild einer fast drei Meter langen Barke bemüht, die doch keine Masse hat, kaum fassbar ist. Ein Umriss. Eine Andeutung. Eine Raumzeichnung.
Mit dem obsoleten Begriff der Barke bezeichnet man gemeinhin ein mastloses Boot, dessen Ursprung stark an die antiken Mythylogien gebunden ist: an die Sonnenbarke mit der der ägyptische Mythos den täglichen Sonnenlauf von Ost nach West eingefasst hat; an die Barke des Charon, mit der der greise Fährmann in der griechischen Mythologie die Toten über den Fluss Styx bzw. Lethe in das Reich des Hades befördert hat; oder an die heilige Barke der Kelten mit der die Wohlverdienten nach Avalon übersetzen konnten.
Die Funktion der Barke als Möglichkeit der Verbindung zwischen zwei Ufern, zwei Seiten findet sich in der Skulptur durch die ungewöhnlichen Verstrebungen innerhalb der Arbeit augenscheinlich versinnbildlicht. Wilfling hatte bei der Konzeption seiner Barke weniger antike Mythologien oder abendländische Bildtraditionen im Auge als vielmehr ein bildhauerisches Problem: wieviele Verbindungen zwischen den acht essentiellen Punkten der Skulptur möglich sind, ohne, dass eine der anderen gleicht. Gleichzeitig gewinnt die Arbeit durch diese Verstrebungen und Verspannungen eine verschachtelte Dynamik, die dem Raum wenn schon nicht Bewegung so doch Unruhe einzuschreiben scheint.
 

BETT
Diese dynamische Raumsituation findet sich auch in Wilflings „Bett“, einem ordinären Metallbett für eine Person, mit Kopf und Fußteil. Die Kombination von Rahmen, Gestell und Matratze wird von Wilfling auf die wesentliche Rahmenkonstruktion reduziert, in die er Verspannungen einzieht, die nur vage an ein Gestell erinnern.
Wiederum bemüht Wilfling einen anthropologischen Archetyp, nämlich den einer vierbeinigen Liege, die im Alten Ägypten ebenso Verwendung fand, wie in Mesopotamien oder im Griechenland Homers. Die ursprünglichen Verspannungen des Rahmengestells mit Gurten hat Wilfling durch Eisenrohre ersetzt, wobei als Inspiration hinter den Vergurtungen das Bild von sich wild verschränkenden Wäscheleinen stand. Die Kombination aus Metallbett, ursprünglichen Vergurtungen, Metallrost, Wäscheleinen und den für Wilfling typischen Gebrauch von Aluprofilen und Metallrahmen führte zur Genese dieser Arbeit und zu einem weiteren Ausloten von Verbindungsmöglichkeiten wichtiger Punkte innerhalb einer Konstruktion. 


PROFIL
Aus den Materialresten hat Wilfling ein Selbstporträt angefertigt. Der Künstler wird im Material selbst sichtbar, manifestiert sich im wahrsten Sinne des Wortes in den Resten seiner Kunstwerke. Der Künstler des materialiserten Schattens offenbart sich uns in einem Schattenriss aus Restmetall. Das Selbstporträt spiegelt ein für Markus Wilfling typisches Wortspiel wieder, eine Profilansicht seiner selbst aus Aluminum-Profilen. Die willkürliche Länge der einzelnen Elemente bewirkt einen unregelmäßigen Abschluss und generiert eine assoziationsreiche Dynamik, die Rückschlüsse auf die Gedankenwelt des Künstlers zulassen könnte.

ZUGESTÖPSELT
Im Jahr 2008 befestigte Markus Wilfling an der Decke einer Wiener Galerie einen 45 cm großen schwarzen Stöpsel. Der banale Gegenstand eines Stöpsels, der gemeinhin dazu dient, eine Öffnung dicht zu verschließen um sowohl das Entweichen wie auch das Eindringen einer Substanz zu verhindern wird durch seine Überdimensionierung zu einem ironischen Monument Oldenburg'scher Prägung. Dieser Verfremdungseffekt beeinflusst das Verhältnis des Menschen zum Objekt, da gerade der Kontrast zwischen der skulpturalen Größe und der Banalität des Gegenstandes die Wahrnehmung eben dieses nachhaltig verändert.

Mit einem überdimensionierten Luft-Stöpsel, mit dem Wilfling 2009 den Himmel über Linz zustöpselte, hat er diesen jedoch weder metaphysisch verschlossen, noch den Regen vom Fallen abgehalten. Aber er hat auf humorvoll-spielerische Weise eine Aufmerksamkeit und Sensbilität geschaffen, dass nicht jede Wassermasse so leicht aufzuhalten und stoppen ist, wie jene in der Badewanne und, dass man dräuendes Unheil nicht einfach mit einem Gummipfropfen abwenden kann.

Das schwarze Objekt, das die Galerie artepari im Rahmen der Ausstellung als Edition aufgelegt hat, entspricht in seiner Form dem klassischen Stöpsel für die Spüle, doch in seiner vergrößerten Ausführung an der Wand suggeriert Wilfling, dass etwas leckt, dass etwas nicht dicht ist, nicht in Ordnung ist. Der Stöpsel verliert seine kontextuale Bestimmung und wird zum Zeichen für gesellschaftliche Verunsicherung, für die Risse im Damm, die mit Gummipfropfen zugestopft werden und für die bange Erwartung, was passieren wird, wenn jemand den Stöpsel zieht. 

 
KATZENAUGENARTIG
In seiner zweiten Textarbeit in dieser Ausstellung, „Katzenaugenartig“, berichtet Markus Wilfling von einem sprachlosen Zustand, von einer nicht verbalisierbaren „körperlosen Sehnsucht“ nach einer anderen Form des Da-Seins, und der Selbstbetrachtung in einem Zwischenbereich jenseits chronologischer Messbarkeit, in einem „raumlosen Äther“. „Katzenaugenartig verwandelte Ziffern“ zeigen das Fortschreiten mehrerer Lebensalter an und weisen den Weg in „ein unbekanntes Licht“ und einen „gegenstandslose(n) Zustand“, dessen Sprachlosigkeit nur die Wanduhr, die wie ein uraltes Getier an die Wand geheftet ist, mit ihrem Ticken zu durchbrechen und aufzuheben vermag.
Der poetisch-surreale Text sucht die unbestimmte Sehnsucht nach künstlerischer Bewustseinserweiterung in Worte zu kleiden und eröffnet dem aufmerksamen Betrachter mannigfaltige Möglichkeiten des Nachsinnens, Deutens oder Verschränkens zu eigenen Narrationen, und gibt ihm in seiner Offenheit zugleich eine Ahnung von der Limitierung aber auch Potentitalität von Sprache. 


KURZ SCHLUSS HAND LUNGE
Die Konzeptkünstler der 1960er Jahre verwendeten Sprache als künstlerisches Material um einerseits vorgefasste Meinungen, welche Form und Rolle Kunst haben soll, in Frage zu stellen, und andererseits, um Verbindungen zu weit wesentlicheren Fragen herzustellen, wie zum Beispiel Kommunikation funktioniert oder Information weitergegeben wird. Der Fokus auf die bloße Schrift hat zur Folge, dass unsere Aufmerksamkeit weg vom Autor hin auf das System gelenkt wird, in dem diese Worte zirkulieren. Es soll hier nicht die Philosophie der französischen Strukturalisten ins Spiel gebracht werden, die Sprache als ideologisches Konstrukt bestimmte, und ihren Zusammenhang zur Macht aufzeigte. Ein Hauptanliegen der meisten Künstler dieser Zeit war es, die Natur des Austausches zwischen Werk und Betrachter neu zu verhandeln. John Baldessari hat über seine Serie „Tips for Artists“ gemeint, dass sein Antrieb war, die Sprache aus ihrem angestammten Kontext zu holen und dadurch mit einer neuen und mitunter provokativen Bedeutung zu versehen, die den Betrachter dazu zwingen würde, neue und unangenehme Fragen zu stellen.(3) 
Markus Wilfling steht mit seinen Textarbeiten in der Tradition jener konzeptuellen Tendenzen der 1960er Jahre. Doch werden Worte bei ihm auch durchaus skulptural eingesetzt wie in seiner Raumarbeit „Kurz Schluss Hand Lunge“, bei der er das Kompositum in vier Morpheme aufsplittert, in Gips gießt und auf je eine Wand des Raums affichiert.
Die Kurzschlusshandlung als impulsive, nicht rationale Reaktion auf eine meist als bedrohliche empfundene Situation ist jedem von uns bekannt. Der Begriff ist eine Kombination zweier Nomen aus unterschiedlichen Anwendungsbereichen: Kurzschluss und Handlung.
Der Begriff der Handlung leitet sich vom Verb „handeln“ ab, das in der Philosophie im Unterschied zu „verhalten“ jede menschliche von bewussten Motiven geleitete zielgerichtete Aktivität bezeichnet, sei es ein Tun oder ein Unterlassen. Der Begriff des Kurzschlusses bedeutet in der Elektrotechnik eine nahezu widerstandslose Verbindung der beiden Pole einer elektrischen Spannungsquelle. Eine Spannungsquelle hat einen Plus-Pol und einen Minus-Pol. Werden diese beiden Pole ohne einen dazwischen geschalteten Verbraucher direkt miteinander verbunden, kommt es zu einem extremen Stromfluss, welcher zu einer starken Erhitzung und damit zur Zerstörung des Systems führen kann. Die Kurzschlusshandlung als Affekt, als Gegenteil einer zielgerichteten Aktivität erhitzt das Gemüt und birgt das Potential zur Zerstörung zwischenmenschlicher Systeme.
Durch Wilflings Aufsplitterung des Kompositums in die Worte „Kurz“, „Schluss“, „Hand“ und „Lunge“ wird der Betrachter mit zwei Begriffspaaren konfrontiert: den Worten „kurz“ und „Schluss“, die auf eine metrische Dimension verweisen, in diesem Fall stark zeitlich determiniert sind, und dem Begriffspaar „Hand“ und „Lunge“, die das Verhältnis zum menschlichen Körper betonen.
In Gedanken oder durch Film und Fernsehen beeinflusst stellen sich beim Betrachter unmittelbar Vorstellungen einer Kurzschlusshandlung ein. Mit diesen vier Begriffen werden praktisch Parameter einer solchen Affekttat abgesteckt. Die Hand, die die Tat vollstreckt, die Lungen, die den schnellen und aufgeregten Atem in einer Ausnahmesituation beflügeln und die kurze Zeitdauer nach der unrevidierbar Schluss ist.
Mit seiner Textarbeit „Kurz Schluss Hand Lunge“ gelingt es Wilfling nicht nur, den Betrachter  mit dem Prozess der Bedeutungsgenerierung zu konfrontieren, sondern zugleich, eine Narration zu offerieren. Dabei steht die geringe Zeitdauer einer Kurzschlusshandlug im ironischen Widerspruch zur langen Verweildauer, die für die Rezeption der Schriftarbeit „Kurzschlusshandlunge“ von Nöten ist.


(1) Robert Jacobson, zitiert nach: Georges Duby / Jean-Luc Daval (Hgg.), Skulptur. Von der Antike bis zur Gegenwart. Köln [u.a.] 2002, 1052. 
(2) Markus Wilfling. Zwischem dem Raum. Weitra 2009, 86. 
(3) Vgl. Simon Morley, Writing on the Wall. Word and Image in Modern Art. Berkeley / Los Angeles 2003, 142.

Text: Roman Grabner, 2011
Bild: o.T. (Bett), 2011, Eisen, 75 x 240 x 110 cm
Fotos: courtesy artepari

AUSSTELLUNGSDATEN

Ausstellungstitel
Markus Wilfling – eisen_handlungen

Ausstellungsdauer
21. September – 11. November 2011

Öffnungszeiten
Montag bis Freitag von 14 bis 17 Uhr und nach
telefonischer Vereinbarung

Kontakt
artepari
Galerie für zeitgenössische Kunst
Peter-Tunner-Gasse 60, 8020 Graz, Austria
Tel.: +43(0)676-519 00 66 oder Tel.: +43(0)316-89 00 92
E-Mail: office@artepari.com
Internet: www.artepari.com

Druckansicht Druckansicht

created with ed-it.®
Galerie artepari GmbH, Peter-Tunner-Gasse 60, 8020 Graz, Austria, office@artepari.com